Critical Mass in Tübingen und in Stuttgart – Ein kleiner Erfahrungsbericht vom Aufbruch Fahrrad 2019

Endlich habe ich es dieses Jahr (2019) mal zu einer Critical Mass geschafft. Und zwar nicht nur zu einer, sondern gar zu drei bisher!

Zweimal war ich in Stuttgart dabei und einmal in meiner Heimatstadt Tübingen. Im Mai war ich jeweils in Tübingen und in Stuttgart dabei und im August hatte ich es nochmals nach Stuttgart geschafft!

Das Schöne ist es, dass es gerade im Jahr 2019 stark steigende Teilnehmerzahlen bei den Critical Masses gab. Angestachelt durch die Fridays for Future Demos entdecken auch immer mehr Menschen das Fahrrad als ökologische Alternative bei der Mobilität.

Auch belebt die Critical Mass eine gewisse urbane Fahrradkultur und sorgt für Werbung fürs Rad, egal ob man ein Trekkingrad, Rennrad oder Gravelrad oder Mountainbike fährt. Und dann gibt es ja vermehrt noch Lastenräder und E-Bikes sowie auch beides in Kombination! Sogar ein selbstgebautes Hochrad konnte man sehen.

Die Critical Mass ist zugleich eine große Fahrradschau mit ganz unterschiedlichen Fahrrädern. Es ist ein Kultur- und Mobilitätsereignis.

Doch was ist eine Critical Mass überhaupt genau? Und warum gibt es sie?

Critical Mass im Mai 2019
Der Start zur Critical Mass im Mai 2019.

Was ist eigentlich eine Critical Mass und was hat sie mit Radfahren zu tun?

Critical Mass heißt einfach „kritische Masse“, meint aber, dass sehr viele Radfahrer zusammenkommen und durch ihre Menge zeigen, dass sie selbst der Verkehr sind.

Dabei geht es nicht unbedingt darum, eine politische Demonstration mit zentralen Ansprechpartnern zu organisieren. Vielmehr geht es darum auf spontane Weise, viele Radfahrerinnen und Radfahrer zusammenzubekommen.

In den unterschiedlichen Ländern können die Critical-Mass-Veranstaltungen recht verschieden sein.

In Deutschland nimmt man einen Paragraphen der Straßenverkehrsordnung zu Rate. Der §27 der Straßenverkehrsordnung erlaubt es, dass Radfahrerinnen einen geschlossenen Verband bilden dürfen. Ab 15 Fahrern ist die Radwegebenutzungspflicht aufgehoben und sie dürfen auch nebeneinander fahren.

In Stuttgart allerdings wird die Critical Mass ganz regulär angemeldet, was von vielen in anderen Städten auch kritisiert wird. Die Behörden gewöhnen sich so daran, was dazu führen würde, dass andere unangemeldete Ärger mit der Polizei bekämen. Schließlich sei die Critical Mass keine eigentliche Demonstration, sondern nur ein subversiver zufälliger Zusammenschluss von Radfahrern.

Eine Abstimmung in Stuttgart führte aber dazu, dass die Critical Mass weiterhin angemeldet sein soll.

In der ganzen Welt gibt es die Critical Mass inzwischen. Die erste gab es 1992 in San Francisco. In Deutschland war wohl diejenige 1997 in Berlin die allererste.

Fahrradtunnel Tübingen - Haagtor - Critical Mass - Mai 2019
Durch den Fahrradtunnel…

Critical Mass in Tübingen

Im Mai war ich dann das erste Mal bei der Critical Mass in Tübingen. Das war Erzählungen zufolge ein immer eher kleinerer Haufen gewesen. Und das obwohl die Stadtgesellschaft in Tübingen durchaus sehr offen fürs Radfahren ist.

Vor ein paar Monaten waren das wohl nur 20 Leute gewesen, sagte man mir. Doch heute war richtig viel los.

Für eine kleine Stadt wie Tübingen bei so vielen Demos sind 200 Radfahrerinnen schon richtig viel! Insofern hatte es ein rasantes Wachstum gegeben.

Eine halbe Stunde zuvor hatte es schon richtig heftig geregnet und ich dachte mir, dass die Critical Mass in Tübingen dieses Mal vielleicht gar nicht stattfinden würde.

Doch ich fuhr auf Verdacht dennoch los und zog eben Regenklamotten an.

Critical Mass - Mai 2019 - Tübingen
Critical Mass im Mai 2019. 200 Fahrradfahrer*innen waren da.

Die Stimmung war vor Ort dann aber sehr gut und immer mehr Radler kamen vorbei. Unsere kleine Gruppe von der PARTEI, mit denen ich dort war, war zu dritt.

Es war sehr bunt und jung. Die alten ADFCler gingen so tatsächlich etwas unter. Auch ein paar ältere Kommunalpolitiker waren da.

Doch Fridays for Future hatte die Demo quasi übernommen und auch mitorganisiert!

So eine Bewegung belebt einfach alles. Ich finde das toll. Es motiviert und sorgte für eine quirlige Atmosphäre auf der gesamten Critical Mass.

Die Critical Mass in Tübingen zog durch die gesamte Stadt und fuhr auch auf Hauptverkehrsrouten vorbei, wo sonst nur Pendler fahren. In den Abendstunden ist Tübingen auf der Stuttgarter Straße immer recht dicht.

Hier konnte man also deutlich zeigen, worum es geht: Der Umstieg vom Auto auf das Fahrrad.

Das Ende waren wir dann in der Altstadt in Tübingen.

Lu und Häns Dämpf - Die PARTEI - Stuttgart - Mai 2019
Mit Lu kurz vor dem Start bei der Critical Mass im Mai 2019. Hier grinste ich noch. Lu hatte einen Helm auf, ich unvernünftigerweise nur einen Zylinerhut. Wer stürzte? Na klar, wer!

Critical Mass in Stuttgart

Mai 2019 auf der Critical Mass – Mit Sturz!

Die erste Critical Mass, bei der ich überhaupt war, war die in Stuttgart. Das war im Mai und es war schönes, aber auch warmes Wetter.

Sie startete am Feuersee in Stuttgart-West und sollte durch die ganze Stadt führen.

Für eine kurze Zeit war der Autoverkehr in Stuttgart lahmgelegt und die Stadt gehörte den Radfahrerinnen und Radfahrern. Das ist in so einer Autostadt wie Stuttgart schon etwas besonderes.

Die Stimmung war sehr gut und bunt. Ich war mit meiner PARTEI-Kollegin da, die super engagiert war. Beim Aufkleberverteilen war sie richtig effektiv.

Critical Mass - Stuttgart 2019
Critical Mass in Stuttgart im Mai 2019.

Auf jeden Fall war sie effektiver als ich. Denn ich war etwas müde. Das wurde mir dann auch zum Verhängnis.

Bei der Abfahrt im Planietunnel versteuerte ich mich und landete auf dem Boden. Ich war gegen einen Bordstein gefahren und hatte irgendwie das Gleichgewicht verloren.

Erst wolle ich weiterfahren. Doch das erwies sich als eine Illusion. Ich stand noch unter Adrenalin, aber ich war schwer auf meine Gliedmaßen gestürzt.

Eine Krankenschwester, die sich zufällig auch hier auf dem Rad befand, sah meinen Sturz. Sie half mir auf und holte den Krankenwagen.

Meine Begleiterin blieb bei mir und war auch sehr geduldig.

Die sehr symphatischen Sanitäter stellten dann fest, dass ich keine Gehirnerschütterung hatte, sondern lediglich stärkere Prellungen. Es sollte dann ein paar Wochen dauern bis diese abschwellten.

Doch trotz dieses negativen Ereignisses blieb mir meine erste Stuttgarter Critical Mass positiv in Erinnerung.

Es gab viele bunte Radfahrerinnen und Radfahrer. Auch jemand auf einem selbstgebauten Hochrad war dabei. Es gibt soo viele unterschiedliche Radtypen auf der Critical Mass und so viel Humor.

Dazu kommt die Musik. Viele haben sogar Anhänger mit richtig großen Boxen dabei, so dass man von überall her in unterschiedlicher Qualität beschallt wird.

Ich würde es das nächste Mal nochmal versuchen. Und dann wollte ich die Critical Mass natürlich komplett fahren!

Critical Mass - August 2019 - Regen Tankstelle
Bei der Critical Mass in Stuttgart im August 2019 regnetes es ganz kurz. Dafür aber heftig. Ich fuhr einfach weiter. Einige Radler stellten sich aber unter.

August 2019 – Fast 2.000 Radler in Stuttgart!

Meine zweite Critical Mass in Stuttgart im August 2019 war dann schon besser. Denn ich stürzte nicht! 🙂 Ich war an diesem Tag ohnehin den Neckarradweg von Tübingen nach Bad Cannstatt gefahren.

So dachte ich mir: Warum nicht zum Ausrollen noch bei der Critical Mass mitfahren! Die Geschwindigkeit ist dort ja immer gemütlich.

Es war dieses Mal noch mehr los als im Mai. Man hat das Gefühl, dass es mit dem Radprotest jetzt richtig los geht.

Stuttgart hat nur einen Anteil der Radfahrer am Verkehr von 6%. Das Fahrrad wurde in der Autostadt jahrzehntelang stark vernachlässigt. Es gibt hier keine Hauptrouten für den Radverkehr.

Und auch dass die Grünen hier inzwischen die Mehrheit im Gemeinderat haben und den Oberbürgermeister stellen, hat an diesem Grundzustand nichts geändert.

Umso wichtiger ist es, dass sich die Radfahrer zeigen! Und umso wichtiger ist es, dass immer mehr Radfahrer zur Critical Mass kommen. Radfahren boomt eben doch!

Der Start war wieder am Feuersee. Hier kommt man gut mit der Bahn hin, aber ich war ja jetzt schon in Stuttgart und fuhr mit meinem Reiserad hin.

Langsam, eine halbe Stunde nach meiner Ankunft, zog der Zug der Radfahrer von dannen. Die Stimmung war wieder super – und die Radkultur war wieder bunt unterwegs.

Die Route war dieses Mal etwas anders als im Mai. Wir fuhren dieses Mal nach dem Westen gleich in den Süden, während wir im Mai im Süden geblieben waren.

Es ging nach einer Runde aber auch wieder durch den Planietunnel und ich stürzte nicht! Juhu!

Es ging um den Rosensteinpark bis nach Bad Cannstatt und von dort wieder zurück an der B14 entlang. Das fand ich am coolsten. Während hier eigentlich der Stau wütet, konnten wir 2.000 locker durchfahren.

Ab durch Stuttgart-Mitte ging es jedoch wieder zurück in den Westen. Dort fand dann die Aftermass statt. Das ist das Ausklingen nach der Critical Mass. Ich fuhr müde, aber glücklich schon bald mit dem Zug nach Hause.

Aftermass - Critical Mass Stuttgart
Die Aftermass im August 2018. Getränke gegen Spende – und nochmal ein Ausklang des Abends.

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